Liebe Leserinnen und Leser,
…es gibt London, Paris, Madrid, Rom, Lissabon, Amsterdam und viele andere europäische Hauptstädte, in denen ein oder mehrere Klubs zu den ganz Großen im europäischen Fußball zählen. Und es gibt Berlin. Da ist alles anders. Das hat natürlich nicht nur sportliche, sondern auch geschichtliche und vor allem geopolitische Gründe, die 40-jährige Insellage Westberlins mitten in der DDR hat die Entfaltungsmöglichkeiten von Hertha BSC beschnitten. Wie auch die Hertha, so fühlte sich auch die Stadt bis zum Mauerfall immer ein bisschen provinziell an, was in einem fast albernen Kontrast zu ihrer Größe stand.
Mittlerweile ist Berlin eine Weltstadt, wenn auch immer noch eine spezielle. Wenn die Corona-Krise überwunden ist, werden die Berliner womöglich erstaunt feststellen, dass sie mittlerweile tatsächlich einen Großflughafen haben. Aber immer noch keinen Fußballverein, der zu einer Hauptstadt passt.
Schon vor dem Bundesliga-Hinspiel des VfL Wolfsburg in Berlin haben wir dieses Thema beleuchtet, jetzt steht das Rückspiel an. Und die Kluft zwischen hauptstädtischer Anspruchshaltung und sportlicher Realität ist beim “Berliner Sport-Club Hertha”, wie er vollständig heißt, eher noch größer geworden. Doch mit Häme sollte man aus zwei Gründen vorsichtig sein. Zum einen ist dieses Motto “Big City Club”, das die Hertha mit Leben füllen will, kein alberner Slogan, sondern meiner festen Überzeugung nach der einzige Weg für Spitzenfußball in Berlin. Anders gesagt: In einem politischen und kulturellen Zentrum, wie es Berlin nun einmal ist, gehst du als Fußballverein unter, wenn du nur ab und zu mal um Platz sechs mitspielst und am Saisonende den Klassenerhalt bejubeln musst. Also: Ich wünsche mir, dass Hertha irgendwann mal im Champions-League-Finale steht, und ich würde das - ich bin jetzt 53 - tatsächlich gern noch erleben.
Doch schon Konfuzius sagte, dass selbst ein langer Weg immer mit einem ersten Schritt beginnt, und im Grunde warten wir bei der Hertha immer noch auf diesen ersten Schritt - auf den ersten Sieg in diesem Jahr. Was für den VfL Wolfsburg durchaus eine Art von Gefahr ist, denn trotz zum Teil ernüchternder Niederlagen wirken die Hertha-Fußballer so, als könnte der Knoten demnächst platzen. Bei aller Sympathie für die Big-City-Ideen: Das muss ja nicht unbedingt am Samstag in Wolfsburg passieren.
Fündig werden wir auch immer wieder, wenn wir trotz ruhenden Spielbetriebs nach Geschichten aus dem Amateurfußball suchen – in dieser Woche unter anderem beim TSV Heiligendorf, wo demnächst ein Trainer seinen ehemaligen Trainer trainiert. Was es damit auf sich hat und wie ein Fichtenfuchs-Tattoo in dieser Geschichte eine Rolle spielt,
hat mein Kollege Benno Seelhöfer aufgeschrieben.
Wann in Heiligendorf, Wilsche, Leiferde und Neindorf wieder Fußball um Punkte gespielt werden kann, ist offen. Der professionelle Fußball musste sich derweil – zumindest, wenn er international stattfindet – zuletzt immer häufiger fragen, wo er denn wohl seine Spiele austrägt. Die Diskussion, die wir vom RB Leipzig (in Budapest gegen Liverpool) oder auch der TSG 1899 Hoffenheim (in Villareal gegen Molde) schon kennen, hat nun auch Wolfsburg erreicht. Die VfL-Frauen tragen ihr Auswärtsspiel in der Champions League
gegen den norwegischen Klub Lilleström SK Kvinner in Györ in Ungarn aus. Auf den ersten Blick ein kompletter Unsinn – denn auch hier reisen in Corona-Zeiten gleich zwei Teams quer durch den Kontinent, wo ansonsten nur eines unterwegs sein müsste.
Auf den zweiten Blick ist es aber zumindest ansatzweise erklärbar.